KW38 - Ist Deutschland noch zu retten?

Doppelgänger Update (BETA)

Von Holger Zschäpitz (Gastautor) · 16. September 2024


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❤️ Danke an alle, die diese Woche die meisten neuen Leser:innen auf unseren Newsletter aufmerksam gemacht haben, aber auch an alle anderen! Die “Share the Newsletter” Funktion findet ihr am Ende der aktuellen Ausgabe und das Rennen startet jeden Montag von neuem. Der heutige Newsletter hat 867 Worte und das vollständige Lesen dauert etwa 5 Minuten. Heute ist Montag, der 16. September 2024 und die KW38 startet.

Der Newsletter wurde heute in Urlaubsvertretung von Gastautor und WELT-Wirtschaftsjournalist Holger Zschäpitz kuratiert. ❤️

🤖 Nation im Abstieg – Ist Deutschland noch zu retten?

Deutsche Wirtschaftsleistung als Anteil am globalen BIP in Prozent

Was ist passiert? In Deutschland läuft es gerade nicht gut. Die Wirtschaftsleistung ist im vergangenen Quartal geschrumpft, die Produktivität ist schon seit sechs Quartalen rückläufig und die Industrie zerlegt sich. In der abgelaufenen Woche gleich mehrere Pläne vorgelegt, wie Deutschland bzw. Europa zu retten seien. Der Startup-Verband hat eine Innovationsagenda 2030 vorgestellt, das IW Köln zusammen mit Boston Consulting die Transformationspfade für das Industrieland Deutschland und Mario Draghi hat sich The future of European competitiveness vorgenommen. Grund genug, Diagnose und Rezepte vorzustellen.

In der Diagnose sind sich die Retter einig: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland ist trüb. Volkswagen könnte erstmals seit 87 Jahren hierzulande ein Werk schließen, in der vergangenen Woche wurde die seit 1994 geltende Beschäftigungsgarantie gekündigt. Zulieferer wie ZF oder Continental wollen tausende Jobs streichen. Ein Fünftel der deutschen Industriewertschöpfung ist mittelfristig gefährdet – vor allem durch hohe Energiekosten und schrumpfende Märkte für bisherige deutsche Kerntechnologien. Auch mangelnde Investitionen, hohe Löhne und eine überbordende Bürokratie haben die Wettbewerbsfähigkeit des Landes ruiniert. Deutschland steuert gerade noch vier Prozent zum weltweiten Bruttoinlandsprodukt bei – Tendenz fallend.

Bei der Künstlichen Intelligenz hat Deutschland nach dem Ausscheiden von Aleph Alpha aus dem KI-Wettlauf keinen Player von globaler Bedeutung mehr im Rennen. SAP spielt mit seiner Fülle von B2B-Daten noch mit, partnert aber mit Sprachmodellen von Konkurrenten. Sichtbar wird die Malaise auch an der Börse. In Übersee werden die 50 amerikanischen KI-Firmen des Goldman Sachs TMT KI Index mit 16,7 Billionen Euro bewertet. 16 Billionen Euro bewertet. In Europa bringen SAP, ASML, Dassault & Co noch nicht mal eine Billion Euro auf die Börsenwaage.

Hierzulande werden die Börsengesellschaften zu regelrechten Schnäppchenpreisen gehandelt. Ein Viertel der Dax-Konzerne notiert unter dem Buchwert, also unter dem Substanzwert. Im Klartext: an der Börse gibt es gerade etwas geschenkt, mit der italienischen Großbank UniCredit ist bereits ein erster Schnäppchenjäger auf den Plan getreten.

Der Draghi-Report zur Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents hat herausgefunden, dass in den vergangenen 50 Jahren kein einziges Unternehmen neu entstanden ist, das mehr als 100 Mrd. Euro wert ist. Und bei den Start-Ups hat der Alte Kontinent einen Startnachteil, weil es weniger Risikokapital dafür aber mehr Regulierung in Europa gibt. Die EU hat seit 2008 jedes dritte Tech-Unicorn verloren, weil die Firmen den ausländischen Geldgerbern folgten oder vor Regulierung flüchteten. Vor allem die USA profitieren davon.

Was tun? Draghi und das IW plädieren für viel Geld. Draghi fordert jährlich 750 bis 800 Mrd. Euro an Investitionen, beim IW fällt die Summe etwas kleiner aus. 1,4 Billionen Euro sollen bis 2030 zusätzlich in Energieversorgung, Infrastrukturausbau, eine Bildungs- und Digitalisierung sowie die Förderung von Zukunftstechnologien gesteckt werden. Würde der Staat solche Summen bewegen, wäre das sicher nicht das Rezept für die Rettung. Warum soll ausgerechnet der Staat wissen, in welche Innovationen Geld gepumpt werden soll. Die Wirtschaft wiederum würde in den Rent-Seeking-Modus umswitchen, um an die Kohle zu kommen, statt nach Innovationen zu suchen.

Draghi möchte auch noch Zusammenschlüsse erleichtern. Aber Monopole waren selten für mehr Innovationen gut. Da klingen die Forderungen des Startup-Verbands noch besser. Hier soll der Staat die Voraussetzungen schaffen, dass mehr Talente nach Deutschland kommen, mehr privates Geld in Startups fließt, ein Startup in einem Tag gegründet werden kann und insgesamt mehr Frauen gründen. Allerdings klingt die Forderung, mindestens fünf Prozent der Aufträge der öffentlichen Hand an Startups zu vergeben, illusorisch. Und aucn die verminderte Einkommenssteuer für eingewanderte Talente wirkt nicht gerecht.

Ich würde erst mal die Reformen anpacken, die nichts kosten: Bürokratieabbau und einen zeitgemäßeren Datenschutz. Viele analoge Gesetze machen digitale Innovationen unmöglich. Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, bemängelte auf dem KI-Gipfel der WELT frustriert: „Momentan erhalten wir schon 70 Prozent der Arbeitslosmeldungen digital, aber wir dürfen wegen der Erreichbarkeitsanordnung nicht einmal die Telefonnummern und E-Mail-Adressen unserer Kunden speichern.“ Und der WELT-KI-Gipfel offenbarte noch etwas. Dort war Nick Turley, Head of Product Chat GPT, zu Gast. Nick kommt aus Itzehoe. Viele deutsche Talente sind ins Ausland gegangen. Wie wäre es, hierzulande die Grundlagen für eine neue Tech-Szene zu schaffen, damit der eine oder die andere wieder zurück kommt.

🔗 Draghi-Report 

Das sind die weiteren News der Woche: 

💔 Axel Springer vor der Aufspaltung? Die FT hat am Wochenende gemeldet, dass Springer-Boss Mathias Döpfern und der Private-Equity-Konzern KKR auf bestem Wege sind, den Konzern aufzuteilen. KKR würde demnach die Mehrheit am Geschäft mit den digitalen Kleinanzeigen übernehmen und Döpfner das Mediengeschäft überlassen. Laut FT wird der Wert des Gesamtkonzerns auf 13,5 Mrd. Euro taxiert – davon würden auf die Sparte Classifieds (Job-Plattform Stepstone und digitale Immobilienanzeigen Aviv) rund zehn Mrd. Euro entfallen, der journalistische Teil (WELT, Bild, Politico, Business Insider) soll deutlich weniger wert sein. Für KKR dürfte sich der Einstieg gelohnt haben. Innerhalb von fünf Jahren hätte sich der Wert der Beteiligung in etwa verdoppelt, das entspricht einer jährlichen Rendite von rund 15 Prozent, bei Hebel entsprechend höher. Kleiner Disclaimer: ich halte virtuelle Shares und hätte wohl auch gut verdient, sollte der FT-Report bestätigt werden. Allerdings meldete die Nachrichtenagentur Reuters am Wochenende, dass die Bewertung noch nicht fix sei.
🔗 Financial Times

🟨 Google zu zaghaft bei KI: Google-Mitgründer Sergey Brin hat in einem Interview auf dem All-In Summit 2024 eingeräumt, beim Einsatz von Sprachmodellen übermäßig vorsichtig vorgegangen zu sein, obwohl Google bei LLMs Pionierarbeit geleistet hat. Brin begründete dieses Zögern mit der Angst, Fehler zu machen und sich zu blamieren.
🔗 YouTube

🦉 OpenAI bald mit neuer Mission? Sam Altman hat OpenAI im Jahr 2015 mit der hochtrabenden Mission gegründet, Künstliche Intelligenz voranzutreiben, die „der gesamten Menschheit zugutekommt“. Deshalb entschied er sich für eine gemeinnützige Organisation. 2019 wechselte das Unternehmen dann zu einem „Capped-Profit“-Modell. Business Insider berichtet jetzt, dass Altman erwägt, diese Obergrenze aufzuheben, weil er Investoren Vorrang vor der Mission einräumt. Hintergrund sei, dass OpenAI gerade regelrecht mit Investorengeld überscchüttet wird. Vor kurzen wurde die Firma in einer Finanzierungsrunde angeblich mit 100 Mrd. Dollar bewertet, nach der Veröffentlichung des neuen Modells O1 ist bereits von 150 Mrd. Dollar die Rede.
🔗 Business Insider

„Das logische Denken stellt den Beginn einer neuen Ära in der KI dar. Indem O1 vor dem Antworten ,nachdenkt’, kann es dabei helfen, komplexere Probleme zu lösen und Antworten robuster zu machen.“

Nick Turley - Produktchef für ChatGPT bei OpenAI in WELT AM SONNTAG

📈 Chart der Woche: Wall Street wettet jetzt auf Harris

Wertentwicklung Goldman Sachs Demokraten-Portfolio vs Republikaner-Portfolio

TV-Duell macht den Unterschied: Das Demokraten-Portfolio von Goldman Sachs ist nach der TV-Debatte zwischen Donald Trump und Kamala Harris in die Höhe geschossen, während das Trump-Portfolio absackte.

Die US-Investmentbank hat jeweils zwei Policy-Pair-Trades aufgesetzt – bestehend aus einer Long-Liste für Demokraten und Republikaner mit den jeweiligen potenziellen Gewinnern eines Harris- bzw. Trump-Siegs und einer Liste mit potenziellen Demokraten/Republikaner-Underperformern. Als Demokraten-Aktien gelten grüne Papiere wie die Wasserstoffwerte Air Products, Bloom Energy, der Wärmepumpen- und Kältetechnikspezialist, Carrier Global, Enphase oder First Solar, die Gesundheitskonzerne Acadia Healthcare oder der Bauwert DH Horton. Diese Aktien finden sich gleichzeitig in der Liste der Republikaner-Underperformer.

Als Republikaner-Titel (und Demokraten-Underperformer) gelten Banken wie Jeffries, JPMorgan, Private-Equity-Gesellschaften wie Carlyle oder Lazard oder Krypotfirmen wie Coinbase und Riot oder Öl- und Gasfirmen wie Exxon, Chevron und Cheniere oder der Gefängnisbetreiber CoreCivic.

Die beiden Pair Trades entwickeln sich parallel zu den Quoten der Wettmärkte. Bemerkenswert ist: Ein erneuter Attentatsversuch auf Trump am Sonntag hat am Wochenende nichts an den Wettquoten verändert und dürfte damit auch nichts an den Policy Pair Trades verändern, wenn die Börsen am Montag wieder öffnen.

🎙️ Hörenswert: Fast & Curious

Fast & Curious Podcast – Pip Klöckner als Mutterschutzvertretung

Es gibt tatsächlich Menschen aus der Tech-Szene, die noch nicht von Pips KI-Keynote gehört haben, die er auf der OMR gehalten hat. Verena Pausder hat davon in der vergangenen Woche von Pip persönlich erfahren, und dass die KI-Keynote inzwischen fast 300.000 Abrufe bei YouTube hat. Dazu noch das Erfolgs-Geheimnis hinter den 300k: B2B dark social.

Die beiden sehen auf dem Cover aus wie das Traumpaar der Tech-Szene. Dass sich allerdings gerade erst kennenlernt, wie sich beim Hören herausstellt: ein von jeglicher Recherche unbelastetes Gespräch. Verena staunt über die KI-Keynote, die Pip ein ganz neues Geschäftsmodell eröffnet hat. Pip hört dafür erstmals von der Innovationsagenda 2030, die Verena zur Rettung Deutschlands niedergeschrieben hat (siehe oben).

Wir erfahren, wie Pip täglich große Mengen an Daten konsumiert, verarbeitet und veredelt. Und dass es ein großes Privileg ist, dafür bezahlt zur werden, andere zu lehren und dabei selbst zu lernen. Außerdem bekommt Ihr von beiden noch gute Geschenkideen, die dem Michelle-Obama-Motto “Put your life first in your calendar” folgen.
🔗 Podigee

📺 Sehenswert: The art of storytelling

The Knowledge Project Podcast – Matthew Dicks: How to Tell a Story so That Everyone Listens

Die meisten Menschen haben eine Art, Geschichten zu erzählen, die vielleicht den Ehepartner mitnimmt oder bei denen allenfalls noch Mutti zuhört. Sie geben chronologisch das Geschehene wieder. Wer wirklich Menschen mit packenden Geschichten mitnehmen möchte, seine Geschichten anders konstruieren.

Wie die Architiektur einer fesselnden Geschichte aussieht, erfahrt Ihr in dem Video von The Knowledge Project, das es auch als Podcast gibt. Ihr lernt die Techniken, die mittelmäßige Geschichten in meisterhafte verwandelt. Ihr erfahrt, wie Ihr die entscheidenden Momente identifiziert, die eine emotionale Wirkung erzeugen, und wie man Techniken wie Spannung und Humor einsetzt, um das Publikum bei der Stange zu halten. Und das von keinem anderen als dem Meister des Stotytelling Matthew Dicks. Er nennt den ultimativen Lackmustest für eine gute Story: den Trick mit dem Stromausfall.
🔗 YouTube

🖨️ Termine der Woche

Mittwoch 18. September: General Mills (BMO). Fed-Zinsseitzung: mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit wird die Notenbank die Leitzinsen gleich um 50 Basispunkte senken
Donnerstag 19. September: Factset (BMO), Fedex (AMC)
Freitag 20. September: Vinfast (BMO)

AMC: After Markets Close (nach Börsenschluss 22 Uhr) | BMO: Before Markets Open (morgens)
Nicht vollständig, lediglich Aktien, die wir als relevant erachten oder im Podcast/Sheet covern.

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