KW27 - Mehr Schein als SHEIN?

Doppelgänger Update (BETA)

Von Philipp Klöckner · 23. Juni 2025


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👗 Mehr Schein als SHEIN?

Als Trailblazer der Disruption im Fashion eCommerce gilt die chinesische Plattform SHEIN vielen Experten. In Realtime verbindet sie sich rasch verändernde Kundenwünsche und modische Trends mit Produktionskapazitäten in China. Durch bedarfsgesteuerte Produktion wäre der On-Demand-Kommerz sogar nachhaltiger als klassische Fast Fashion, welche oft Überkapazitäten für die Müllhalde produziert. Zumindest wenn man der Corporate PR der Chinesen glaubt. Dass SHEIN auch alles dafür tut die Nachfrage zu maximieren und es dem Planeten egal ist, ob das Polyester-Strick-Top auf dem Müll oder im Kleiderschrank verrottet, steht auf der Kehrseite des Kassenbons.

Disruptiv sind Plattformen wie SHEIN, temu, Shopee oder Alibabas Outlets aber tatsächlich. BWL-Theoretiker erinnern sich vielleicht noch an die 6-8 klassischen Handelsfunktionen nach Buddeberg, Seyffert oder Oberparleiter. Vereinfacht übernimmt der Handel verschiedene Transformationsaufgaben betreffend Zeit, Ort, Anzahl und Qualität der Güter, der Geldströme und der Informationen.

Quelle: Gabler

Ich behaupte seit längerem, dass sämtliche klassische Handelsfunktionen heute durch fortgeschrittene vernetzte Logistik (z.B. Amazon FBA), Fintechs (Zahlungs- und Kreditfunktionen) und Real-Time Daten (Nachfrageanalyse und Kundenfeedback) ersetzt worden sind. Analysetools, SaaS-Produkte, Reviews und Plattformen ersetzen den klassischen Handel.

Disintermediation nennt man den Prozess, in dem Makler von Angebot und Nachfrage entfallen und im Beispiel von Bekleidung die Konsumenten unter Umgehung des Handels beim Produzenten kaufen. Da der Handel bei Mode für seine obsoleten Dienste 100 bis 200% aufschlägt, ist eine Umgehung aus Sicht aller Beteiligten effizienter. Hinzu kommt aber auch ein großer Teil der Marge der beauftragenden Marke. Verzichtet man auf eine Brand und kauft direkt beim Auftragsproduzenten, der eventuell auch für große Modemarken fertigt, kann man Ware für einen Bruchteil der Preisempfehlung im westlichen Retail kaufen. EVA-Schaum-Sandalen, die an Muster eines deutschen Ökolatschen-Produzenten erinnern, gibt es bei Alibaba zum Beispiel für genau EINEN Euro. Das Original schlägt mit mindestens 60 Euro zu Buche.

Effiziente Plattformen, die sich nun darauf beschränken Nutzeraufmerksamkeit (Nachfrage) und Produktionskapazitäten (Angebot) über digitale Kanäle zu verknüpfen gelten daher als die nächste große Welle im eCommerce. Kinderkrankheiten, wie beim Vorgänger “Wish” gelten als ausgemerzt. Unaufhaltsam scheint der Siegeszug von SHEIN und temu. Besser als jeder westliche Anbieter makeln die Plattformen nun die Aufmerksamkeit von Konsument:innen. Selbst der Original Gangster der Handysucht, TikTok mischt mit eigenen Shopping-Features mit.

Umsatzprognosen für SHEIN (die verfehlt wurden)

Das Momentum aber hat nachgelassen. Am Höhepunkt des Corona-Shoppingwahnsinn war SHEIN mit 100 Milliarden US-Dollar bewertet. Die Plattform galt als disruptiv, wuchs wie Unkraut und war dabei sogar profitabel. Einzelne Investoren zahlten sogar deutlich mehr um am Sekundärmarkt begehrte Anteile zu ergattern. Pläne für einen Börsengang wurden geschmiedet.

Aber New York winkte ab. Zu viele Fragen über die vermeintlich problematische Supply Chain der Chinesen blieben offen. Made in Xinjiang und Zwangsarbeit on Demand schienen keine gute Equity Story herzugeben und dennoch versuchte SHEIN es als nächstes an der London Stock Exchange. Während der IPO-Prozess sich hinzog, verschlechtern sich die Ergebnisse. Zwar wächst die Plattform noch moderat um 19% auf 38 Milliarden US-Dollar, als Gewinn blieb aber nur noch eine Milliarde übrig. Ein Bruchteil des avisierten Profitziels. Erwartungen — und damit Bewertungen — haben sich angepasst.

SHEIN Bewertung | Bloomberg

Nun steht fest: Ein IPO in Hong Kong, wo chinesische Firmen typischerweise gelistet sind, wird für SHEIN Herausforderung genug sein. Keine 25 Milliarden, ein Viertel der Höchstbewertung, wird man damit als Bewertung erzielen, prophezeie ich zumindest. Die Zahlen werden nur schlechter, der Börsenplatz Hong Kong bietet weniger Anlegerschutz und als würde das Vertrauen nicht schon strapaziert genug sein, reichte SHEIN seine IPO-Unterlagen unter dem Deckmantel der Vertraulichkeit ein. Obwohl in den USA nicht ungewöhnlich, so ist es für die Börse des Stadtstaates doch eher selten, dass Börsenkandidaten ihre Bücher in Nebel hüllen.

Suchnachfrage SHEIN und Temu über dem Berg? | Google Trends

SHEINs Aufstieg war kometenhaft. Nun wird die Firma ein Lehrbuchexempel für das Verpassen des sogenannten IPO Windows. “Make hay while the sun is shining” (Bring das Heu ein, solange die Sonne scheint) sagt man im Englischen. Für einen erfolgreichen Börsengang müssen die Märkte und das Börsenklima gut sein. Auf diesen Moment gut vorbereitet zu sein kann den Erfolg einer Firma signifikant beeinflussen. SHEIN hat es verpasst, am Höhepunkt der Euphorie und Geschäftsentwicklung das eigene Geschäft an die Börsianer zu verscherbeln.

Nun liegt die Firma selbst auf dem Grabbeltisch. Nicht mal ein Fünftel des spanischen Fast Fashion Primus Inditex (Zara, Bershka, etc) ist der Disruptor noch wert. Dessen operative Margen von 20 Prozent scheinen unerreichbar für die Herausforderer. Ähnliches droht Konkurrent Temu, der im Non-Food-Discount Markt das gleiche Konzept fährt. Beide Unternehmen haben sich schneller etabliert als jemals gedacht und doch gelingt es ihnen nicht, wertvolle Kunden zu binden. Stattdessen launcht man das Marketing-Game mit China-Schrott in immer mehr Ländern. Aber Märkte sind endlich und wer Kunden immer wieder per Werbung akquirieren muss, behält wenig von den Effizienzgewinnen für sich.
🔗 Reuters | The Financial Times

Das sind die weiteren News der Woche: 

🫰 OpenAI erhöht Gehälter, weil META in Belegschaft wildert. META-Chef Mark Zuckerberg ist im FOMO Modus. Er und sein M&A Team klappern jede KI-Firma ab, die nicht bei 3 auf den Bäumen ist um sich KI-Talente per “AcquiHire” zu sichern. Bei OpenAI versucht Zuckerberg mit enormen Handgeldern und Star-Gehältern Top-Talente abzuwerben. Knapp ein Dutzend Söldner soll er schon überzeugt haben. Viele davon hatte Sam Altman einst selbst von Googles DeepMind Forschungslabor abgeworben.
🔗 The Information | WIRED

🧑‍🏫 OpenAI trainiert auf Google TPU Chips. NVIDIAs H100 und Blackwell Chips gelten als das Non-plus-Ultra der KI-Trainings-Hardware und haben den Marktwert der Firma auf mehr als drei Billionen US-Dollar katapultiert. OpenAI geht jetzt nicht nur dem Rechenzentrum-Partner Microsoft fremd um Abhängigkeiten zu reduzieren, sondern setzt auch erstmals auf Googles TPU-Chips. KI-Teams beim Suchmaschinenmonopolisten hatten vor mehr als 10 Jahren begriffen, dass spezialisierte Hardware wichtig für die Kostenführerschaft bei KI werden würde und die auf Matrixmultiplikation optimierten Tensor Processing Units, kurz TPUs, entwickelt.
🔗 The Information

💰 Trump hat angeblich Käufer für TikTok: Die Frist zum Verkauf des US-Geschäfts von TikTok musste Trump gerade das dritte mal verlängern. China hat seinen Bluff erkannt und lässt Trump, der eigentlich gar kein Interesse haben sollte, TikTok zu verbieten, weil es ihm hilft, mit seiner eigenen Rhetorik versauern. Der US-Präsident behauptet, nun wohlhabende Käufer für die Plattform gefunden zu haben, vermutlich um von seinem Verharren abzulenken. Das Interesse für TikTok war bisher eher mäßig. Sollte er doch noch jemanden finden, tippe ich auf ein Konsortium von Republikanischen Unternehmern wie Larry Ellison (Oracle) und Potentaten aus der Golfregion.
🔗 Die Zeit

📡 Datenschützer gegen DeepSeek: Wie das Manager Magazin berichtet wollen deutsche Datenschützer den Zugriff auf die chinesische DeepSeek App beschränken, sie aus den Appstores von Apple und Google verbannen. Die App steht im Verdacht Nutzerdaten ins Heimatland zu funken.
🔗 manager magazin

🪰 Weitere News gibt es in der letzten Folge des Doppelgänger Podcast…
🔗 Doppelgänger Podcast

📈 Chart der Woche: Die Ressourcen der Zukunft

Quelle: Our World in Data

Ich bin überzeugt, dass in einer Welt wo intellektuelle Arbeit von künstlicher Intelligenz und physische Arbeit von Robotern, die ihrerseits alles und sich selbst herstellen können, gemacht wird, es noch genau zwei essentielle Erfolgsfaktoren gibt: Günstige Energie um Rechenzentren und Roboter zu betreiben, sowie die zur Produktion von Gütern und Maschinen nötigen Rohstoffe wie Eisen, Nebenmetalle und seltene Erden.

Die traurige Wahrheit ist: Bei beidem führen unsere Herausforderer Russland und China die Welt an. Ihre geographische Ausbreitung sichert ihnen massive Rohstoffvorkommen, die China sogar noch durch Bündnisse in Afrika ausdehnt. Mein Gefühl ist, dass die USA dies ebenfalls erkannt haben und deswegen nicht nur neue territoriale Ansprüche hegen, sondern auch den Weltraum erkunden (und ausbeuten) möchten.

China baut mehr, vor allem erneuerbare, Energie aus als jeder andere Staat der Erde. Das Äquivalent von fünf Atomkraftwerken pro Woche schafft China. Aber mit Erneuerbaren.

🎧 Hörenswert: Business Unplugged (ca. 47 min)

Für die 100. Folge des Podcast Business Unplugged durfte Prof. Dr. Johannes Pohl mir zahlreiche Fragen stellen. Dabei geht es um den Doppelgänger Podcast, künstliche Intelligenz und viele weitere Themen.
🔗 Spotify | Podigee

📺 Sehenswert: That’s Smart Money: Luxus, Schlappen und Milliardendeals (ca. 47 min)

Der Vermögensverwalter LIQID hat sein eigenes Podcast-Format gelauncht. In der zweiten Episode geht es darum, wie der reichste Europäer Bernard Arnault die deutsche Ökoschlappen-Marke BIRKENSTOCK akquirierte und erfolgreich an der Börse versilberte.

(LIQID ist regelmäßiger Werbekunde des Doppelgänger Podcast und ich sitze im Beirat des Unternehmens.)
🔗 LIQID | YouTube

🖨️ Earnings Season: Quartalsergebnisse der Woche

Nächste Woche kommen die ersten Q2 Zahlen…

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