KW26 - KI und Kolonialisierung

Doppelgänger Update (BETA)

Von Philipp Klöckner · 24. Juni 2024


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❤️ Danke an alle, die letzte Woche neue Leser:innen auf unseren Newsletter aufmerksam gemacht haben! Die “Share the Newsletter” Funktion findet ihr am Ende der aktuellen Ausgabe und das Rennen startet jeden Montag von neuem. Der heutige Newsletter hat 1.290 Worte und das vollständige Lesen dauert etwa 5 Minuten. Heute ist Montag, der 24. Juni 2024 und die KW26 startet.

 💸 Wie KI Europa zu kolonialisieren droht

Was ist passiert? Diese Woche wurde ich gleich dreimal an ein Thema erinnert, welches mich schon seit Jahren immer wieder beschäftigt: Die Steuervermeidung der großen Techkonzerne. Und natürlich ist internationale Steuerflucht in einer globalisierten Welt nicht ausschließlich eine Angelegenheit der Technologieunternehmen. Von der Deutschen Bank bis zu amerikanischen Kaffeeröstern nutzen fast alle großen Unternehmen die vorhandenen Steuerschlupflöcher. Für Firmen, welche überwiegend digitale Dienstleistungen erbringen, ist es aber besonders einfach.

Amazon investiert mehr als 10 Milliarden Euro in Deutschland. Das verkündeten Amazon und Staatssekretär Jörg Kukies offenbar gleichermaßen stolz letzte Woche. Nicht nur Amazon CEO Andy Jessy und Deutschland-Chef Rocco Bräuniger nutzen den Pressetermin im Kanzleramt, um feierlich die Investitionen zu verkünden, auch Olaf Scholz und sein Staatssekretär scheinen zufrieden.

Doch 88% des 10 Milliarden-Paket wird Amazon in neue AWS Data Center in der Region Frankfurt investieren. Die Cloudsparte Amazon Web Services ist hochprofitabel und hat inzwischen immerhin eine operative Marge von 38 Prozent. Mehr als 40 Milliarden US-Dollar wird Amazon dieses Jahr mit Cloud-Computing verdienen. Dass die Rechenzentrum-Investitionen aber große Steuereinnahmen für Deutschland verheißen ist eher unwahrscheinlich. So zahlte Amazon 2021 zum Beispiel nur spärliche 64 Millionen Euro Ertragssteuern, etwa 0.2% des Umsatzes in Deutschland.

Aber die Arbeitsplätze? In einem Data Center arbeiten in der Regel zwischen 30 und 80 Menschen. Wahrscheinlich deswegen wirbt Amazon mit der Schätzung, dass die Investitionen mehr als 12.500 lokale Arbeitsplätze “unterstützen” werden. (Dieser Newsletter “unterstützt” übrigens derzeit knapp 15.000 Arbeitsplätze! 😉 ) Weitere 1,2 Milliarden fließen zudem in Logistik, Firmenzentralen und ein Forschungslabor. Vorerst entstehen in der Logistik natürlich noch neue Jobs. Die fallen im lokalen Handel aber auch dementsprechend weg. Auch ohne Innenstadt-Nostalgie kann man behaupten, dass hier vormals steuerbares Einkommen entfällt, weil es von einem Plattformriesen disruptiert wird, der entweder keine Gewinne macht, oder sie ins Ausland verschiebt.

Auch der Internationale Währungsfonds (IMF) mahnte in den letzten Tagen vor der erheblichen Disruption, die künstliche Intelligenz für den Arbeitsmarkt und Ungleichheit bereithalten könnte. Werden Arbeitsplätze und Lohneinkommen bedroht, während künstliche Intelligenz die Produktivität des Kapitals immer weiter erhöht, muss das die globale Ungleichheit weiter erhöhen. KI benötigt lediglich Daten und Energie, um daraus schon bald Billionenerlöse zu erzielen. Seit den 80er Jahren werden die Kapitalgewinne, die durch den Einsatz von KI akkumuliert werden könnten, aber niedriger besteuert als das Einkommen der (noch) arbeitenden Bevölkerung.

Der IMF sieht nur eine Lösung: Nicht die KI, sondern Kapitalgewinne wirksam zu besteuern um die Staaten zu finanzieren und den Verwerfungen zu begegnen. Meiner Meinung nach sollte das eben nicht zwangsläufig neue Steuern bedeuten. Stattdessen könnte die Verhinderung der Steuerflucht die effektiven Steuersätze der Unternehmen bereits signifikant erhöhen. Wie folgende Grafik zeigt, erreichte nicht eins der großen Unternehmen die von Trump schon auf 21 Prozent gesenkte Corporate Flat Tax in den USA. Da teilweise Bundesstaaten zusätzliche Steuern erheben, müssten die effektive Tax Rate eigentlich sogar weit über 20 Prozent liegen. Stattdessen können insbesondere internationale Gewinne und damit Steuern oft vermieden oder in Steueroasen verlegt werden.

Effektive Steuersätze der Magnificient 7 im Q1 2024 (mit Ausnahme Tesla, hier das Mittel 4 repräsentativer Quartale)

In meiner OMR Keynote (Link) hatte ich nicht ausreichend Zeit, um ausführlich auf ein drohendes Unheil der AI-Gesellschaft einzugehen. Man kann mit ausreichend Abstand glaube ich sagen, dass die großen US-Digitalkonzerne circa 3-10% der Umsätze bei fast allen deutschen Unternehmen abschöpfen. Ob Facebook-Werbung, Google-Tax, Maps-Integration oder Amazon-Provision, deutsche Unternehmen kommen an den Monopolen nicht vorbei und geben quasi Gewinnmarge in die USA ab. Gewinne, die andernfalls nach deutschem Recht versteuert worden wären und zur Staatsfinanzierung beigetragen hätten. Einmal von BigTech vereinnahmt, sieht aber weder Deutschland noch die EU und auch nicht die USA viel Steueraufkommen aus diesen Milliardengewinnen. Profitieren tun lediglich die Shareholder der Kapitalgesellschaften.

Nun droht eine zweite Kolonialisierung durch BigTech. Denn die Wertschöpfung durch künstliche Intelligenz droht analog abzulaufen. Zwar wird der Einsatz von KI auch unsere Produktivität steigern, die Effizienzgewinne und Erträge werden aber höchstwahrscheinlich wieder von US-Unternehmen abgeschöpft, welche in der EU kaum Steuern zahlen. Eine Gesellschaft, die sowieso schon demografisch herausgefordert ist, und deren Produktivitätsgewinne auf dem Einsatz von KI beruhen, scheint also kaum noch finanzierbar. Der Filmtipp am Ende des Newsletters (Tax Wars) zeigt das Ausmaß des Problems, aber auch Lösungsansätze.

Ein souveränes oder nationales KI Foundation Model könnte ein weiterer Ansatz sein. Wenn wir wollen, dass alle an den Produktivitätsfortschritten durch KI partizipieren, müssen wir sicherstellen, dass Wertschöpfung und Steueraufkommen in Deutschland verbleiben und auf lokale Champions setzen. Dabei ist mir vollkommen klar, dass es derzeit weder wahrscheinlich ist, dass wir hier die Technologieführerschaft erringen, noch dass die US-Konzerne diesen Markt freiwillig aufgeben werden. Eventuell könnte es aber schlauer sein, State-of-the-Art Open Source Modelle zu nutzen, die aller Wahrscheinlichkeit nach ähnlich leistungsfähig sein werden.

Wenn wir für unsere Gesellschaft nicht ein weiteres großes Problem schaffen wollen, ist es wichtig, dass deutsche Unternehmen ihre KI-Steuer an Berlin und nicht an Amazon in Luxembourg, Google in Irland oder Apple auf Jersey entrichten.* 

“In this world nothing can be said to be certain, except death and taxes.”

Benjamin Franklin - US-Gründervater, der in einer nicht-globalisierten Welt noch ohne Gewinnabführungsverträge lebte.

Das sind die weiteren News der Woche: 

🗡️ Ex-OpenAI Forscher Ilya Sutskever gründet: Nicht weniger als die Entwicklung einer “Safe Superintelligence” will OpenAI Mitgründer Ilya Sutskever nun in seinem eigenen Startup verfolgen. Das verkündete er kurz nach seinem offiziellen Ausscheiden im Nachgang seiner Beteiligung an der gescheiterten Meuterei gegen OpenAI Boss Sam Altman. Für seine neue Firma hat Sutskever zwar Investoren gefunden, wirtschaftliche Interessen und Produktzyklen sollen aber nur nachgeordnete Interessen sein. Wie man damit Top-Personal und Rechenleistung akquirieren kann, hat er noch nicht verraten.
🔗 TechCrunch | ArsTechnica

🧠 Claude 3.5 schlägt ChatGPT: Die von Ex-OpenAI-Mitarbeitern gegründete KI-Firma Anthropic hat die neueste Iteration ihres mittelgroßen LLMs Claude Sonnet veröffentlicht. Die Version 3.5 schlägt in vielen Benchmarks den bisherigen Primus GPT-4o von OpenAI und auch Googles Gemini 1.5 Pro Modell. Anthropic hat bisher etwa 7,5 Milliarden US-Dollar an Finanzierungen erhalten und kann offenbar sehr gut mit der Konkurrenz Schritt halten.
🔗 The Decoder | The Verge

🤔 AI-Forscher erkennen Halluzinationen: Wissenschaftler der britischen Oxford University haben es geschafft die gefährlichen Spinnereien, welche die Einsetzbarkeit generativer künstlicher Intelligenz noch oft beschränken, besser zu erkennen. Ergibt die gleiche Anfrage besonders diverse Ergebnisse ohne klaren Zusammenhang, schließt das Überwachungssystem darauf, dass es sich hierbei um ausgedachte Fakten handeln könnte. Das ist nur ein Beitrag zur Lösung des Problems, könnte aber zum Beispiel genutzt werden, um Warnhinweise auszusteuern.
🔗 Nature | TIME

🟨 Chip-Innovator Cerebras vor IPO: Das 8 Jahre alte Startup baut sogenannte “Wafer-Scale-Engines”. Einfach gesagt, stanzt man Microchips nicht aus den bekannten Halbleiterplatten (Wafer) heraus, sondern verarbeitet gleich die gesamte Platte zu einem einzigen Mega-Chip mit etlichen Prozessorkernen. Rechner und Speicher kommunizieren so deutlich schneller und können KI-Modelle noch schneller trainieren. Zuletzt war das Unternehmen mit 4 Milliarden US-Dollar bewertet. Nun soll es es etwas günstiger an die Börse gehen wollen.
🔗 The Information

🇪🇺 Apple Intelligence lässt EU und China im Dunkeln: Auf seiner WWDC Entwicklerkonferenz stellte der iPhone Hersteller nicht nur seine AI Strategie, sondern auch Features um das iPhone über das eigene MacBook zu steuern vor. Beide Neuerungen werden Nutzern aus der Europäischen Union wohl erst einmal nicht zuteil werden. Denn um im Einklang mit dem Digital Markets Act (DMA) der EU zu stehen, müssten solche Features auch interoperabel, also systemübergreifend zur Verfügung stehen. Auch die exklusive Zusammenarbeit mit OpenAI stöße sicherlich auf Argwohn, wie ihn bereits der Monopol-Bruderkuss mit der Google-Suche weckte. Fraglich bleibt auch wie Apple Intelligence Features in China realisiert werden sollten. Weder das Fallback auf das westliche GPT-Modell (OpenAI) noch Apples eigenes Foundation Model wird chinesischen Nutzern ohne vorherige Zensur zugänglich gemacht werden können.
🔗 Bloomberg | Wall Street Journal

📊 Chart des Tages: Die Großen zahlen weniger Steuern

In den größten vier EU Ländern zahlen größere Unternehmen im Schnitt weniger Steuern als kleine und mittelständische Unternehmen. Rein anekdotisch kann ich bestätigen, dass ich nicht auf die effektiven Steuerquoten der großen in- und ausländischen Unternehmen komme.

📺 Sehenswert: Tax Wars - Krieg der Steuern (93 min)

Der ARTE Dokumentarfilm Tax Wars beschreibt den Kampf der Unabhängigen Kommission ICRICT gegen die internationale Steuerflucht von Großkonzernen. Mit der Unterstützung von Starökonomen wie Thomas Piketty und dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz setzen sich die Protagonisten für eine Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung ein. Der gesellschaftliche Schaden durch Steuerflucht beträgt fast 500 Milliarden US-Dollar. Nicht gezahlte Steuern, welche die Ungleichheit verstärken und die ärmsten Menschen um Bildung, Medizin und Wohlstand bringen. Unbedingt ansehen!
🔗 YouTube | ARTE

🖨️ Earnings Season: Quartalsergebnisse der Woche

Montag 24. Juni:
Dienstag 25. Juni: FedEx (AMC)
Mittwoch 26. Juni:
Donnerstag 27. Juni: Nike (AMC)
Freitag 28. Juni:

AMC: After Markets Close (nach Börsenschluss 22 Uhr) | BMO: Before Markets Open (morgens)
Nicht vollständig, lediglich Aktien, die wir als relevant erachten oder im Podcast/Sheet covern.

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